Montag, 27. Juni 2011

Filmkritiken

Martin Gypkens erzählt in seinem Film "Nichts als Gespenster" fünf Geschichten von Judith Hermann: "Ruth (Freundinnen)", "Acqua Alta", "Kaltblau", "Hurrikan (Something farewell)" und "Nichts als Gespenster". "Hurrikan" stammt aus dem Band "Sommerhaus, später" (1998), die anderen Erzählungen finden wir in der unter dem Titel "Nichts als Gespenster" (2003) veröffentlichten Zusammenstellung.

Handlungsorte sind eine deutsche Kleinstadt, Venedig, Island, Jamaika und Nevada. Obwohl die Handlungsstränge der fünf Geschichten sich nicht berühren, entwickelt Martin Gypkens sie häppchenweise parallel. Schnitttechnisch ist das gut gelungen. Der Film "Nichts als Gespenster" beginnt mit fünf Ankünften und endet mit fünf Abreisen. Bei den Hauptfiguren handelt es sich um Männer und Frauen um die dreißig. Obwohl sie Freunde haben, fühlen sie sich einsam, ihre Beziehungen sind fragil, und sie haben sich wenig zu sagen. Ihr im Grunde sorgloses Leben langweilt sie, und sie vermissen den Sinn; sie warten gewissermaßen auf Godot. Dem Ennui, der saturierten Leere versuchen sie durch Reisen zu entkommen, aber sie lernen keine fremden Länder kennen, sondern erfahren etwas über sich selbst, ohne dass etwas Besonderes geschieht.

Gemeinsam ist den fünf Geschichten die melancholische Grundstimmung, das Lebensgefühl einer Generation.

Judith Hermann hat über die Langeweile der schönen jungen Menschen, die nie arbeiten, nie die Welt retten, nie Verantwortung übernehmen oder Kinder erziehen müssen, zwei Erzählungsbände geschrieben, in denen die Langeweile sehr schön zum Ausdruck kommt. Sie findet für den Ennui der Boheme malerische Kulissen, die dem melancholischen und vagen Lebensgefühl entsprechen. Und weil es den Menschen in diesen Erzählungen an so ziemlich allem, nur märchenhafterweise nie an Geld fehlt, übersetzen sie ihre Rastlosigkeit und ihren Weltschmerz in die Sprache des gehobenen internationalen Jetsets. Sie reisen nach Paris und nach Venedig, nach Norwegen und nach Island, sie durchqueren im Mietwagen Amerika und räkeln sich in Jamaika auf den Rohrsesseln eines gepflegten Anwesens.
Das alles ist ein bisschen traurig und unverbindlich, aber auch irgendwie aufregend, eine Übergangszeit in jeder Hinsicht. Die Kindheit ist vorbei, richtig erwachsen ist man aber noch nicht, man wartet und weiß nicht, worauf. Etwas Neues muss kommen, aber statt mit dem Kopf durch die Wand zu stoßen, zündet man sich eine Zigarette an. Zündet man sich ziemlich viele Zigaretten an. Draußen tobt die Welt, fallen Mauern, sterben Imperien. Hier ist es still, hier ist immerzu blue mood und Fin de Siècle, eine gefällige Leere, die nie aus der Form fällt und den ästhetischen Comment verlässt. (Iris Radisch, Die Zeit, 29. November 2007)

Unterwegs sein: "Nichts als Gespenster" verhandelt kein Beziehungs-Klimbim, sondern porträtiert Dreißigjährige, die in einer Schleife aus Sehnsucht und Resignation gefangen sind, zwischen Hoffnung auf Erlösung durch Liebe und einer "Angst vor wirklicher Hingabe". Man hat gelernt, über "Beziehungen" und "Befindlichkeiten" zu plaudern, aber die in der Tiefe erschütternden Gefühle kann man weder aussprechen noch leben. Ein Dilemma, das Martin Gypkens über weiteste Strecken souverän sichtbar macht. Er erschafft kraftvolle, schöne, präzis gezeichnete Figuren, wie sie ein deutscher Gegenwartsfilm schon lange nicht mehr zu bieten hatte. (Rainer Gansera, Süddeutsche Zeitung, 29. November 2007)


Die Besetzung von "Nichts als Gespenster" ist hervorragend.

Gedreht wurde von März bis Juli 2006 in Leipzig, Brandenburg und Hamburg, Venedig, Island, auf Jamaica sowie in Utah, Arizona und Nevada.
http://www.dieterwunderlich.de/Gypkens_gespenster.htm#kritik

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